Laternenwanderung

Eine halbe Stunde nach örtlicher Sonnenuntergangszeit beginnt für das Publikum die einstündige Wanderung in die Dunkelheit des Waldes. Was verbirgt sich dort? Eine Welt, die seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden in den Geschichten der Menschen überlebt hat? Eine uralte vorgeschichtliche Zeit wie sie Jacob Grimm den Märchen zuschrieb? Die Besucher werden in kleinen Gruppen im Turnus von fünfzehn Minuten in den Wald geleitet. Zur Beleuchtung des Weges dienen einzig Laternen, die jeder Zuschauer an die Hand bekommt. Ganz unmittelbar taucht er in die Atmosphäre des Waldes ein, in die Dunkelheit, die Stille, bis er vor einem ersten Lichttor steht, das ihm Einlass gewährt in eine andere Welt. An sechs Stationen im Wald begegnet der Besucher Figuren, die direkt aus den Mythen und Sagen alten Volksglaubens entsprungen zu sein scheinen. Ein Krieger mahnt vor den Riesen und an einem Brunnen im Waldboden beschwört eine Frau Visionen über den Weltenlauf herauf.

Es war Zeit , diese Märchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen, immer seltener werden…

Schrieben die Brüder Grimm im Vorwort ihrer Märchensammlung.  Hört man den Grimm’schen Märchen zu, kann man die Stimmen einer uralten, fast vergessenen Welt vernehmen. Es ist eine Welt, in der Bäume und Wälder heilig waren und der Bauer zum Dank einen Teil des Getreides auf dem Feld stehen ließ. Jacob Grimm schreibt in seiner Deutschen Mythologie (S.149):

Aus solchen Gebräuchen leuchtet die Milde des Altertums. Der Mensch will sich nicht alles zueignen, was ihm gewachsen ist, dankbar lässt er ein Theil für die Götter zurück… Die Habsucht nahm zu als die Opfer aufhörten.

Die vorchristlichen, naturreligiösen Vorstellungen binden den Menschen in das große Geflecht der lebendigen Welt ein. Dass diese Verbundenheit existenzieller Natur ist, erzählt das Grimm’sche Märchen der Unke. Ein Mädchen füttert eine Unke und diese bringt ihm eine Krone. Als die Mutter aber die Unke erschlägt, siecht auch das Mädchen dahin. Dieses Märchen, das oft auch als „Urmärchen“ bezeichnet wird, steht in einer Tradition mannigfaltiger Geschichten, die meist viel älter sind als die Grimm’schen Märchen selbst. Wilhelm Mannhardt erzählt in „Wald und Feldkulte“ von einem Holzfäller, der trotz mehrmaliger Warnungen den Baum einer Nymphe fällt. Die Nymphe straft ihn mit unstillbarem Hunger. Der Holzfäller trägt in der Inszenierung Schattenwald den germanischen Namen „Walah – der in der Welt fremd Gewordene.

 

 

Begriffe und Figuren der Germanischen Mythologie

Die beiden Raben Hugin („Gedanke“) und Munin („Erinnerung“) müssen jeden Tag über die Erde fliegen. Ich fürchte dass Hugin nicht nach Hause kehrt; mehr noch sorge ich mich um Munin.

Die Edda, das Grimnirlied (Vers 20)

Yggdrasil – die Esche, die als Weltenbaum den gesamten Kosmos verkörpert.

Die Nornen – die schicksalsbestimmenden Frauen, die an den Wurzeln von Yggdrasil am Urdbrunnen „spinnen“. Sie lenken die Geschicke der Menschen und Götter.

Ragnarök – die Götterdämmerung; ragna „Gott“, rök „Ursache, Sinn des Ursprungs“. Ragnarök beschreibt den Weltuntergang und die Entstehung einer neuen Welt.

Ymir – aus seinem Fleisch entstand die Erde, aus seinen Knochen die Felsen, aus seinem Blut das Meer, aus seinem Haar die Wälder, aus seinem Gehirn die Wolken und aus seinem Schädel das Firmament, das von vier Zwergen getragen wird.

GRIMM

Vor 200 Jahren erschien die erste Ausgabe der Grimm’schen Kinder und Hausmärchen. Theater Anu aus Berlin bietet anlässlich des Jubiläums eine außergewöhnliche Inszenierung und schickt seine Besucher in einen der zentralen Orte der Märchen: den nächtlichen Wald. Was verbirgt sich dort? Eine Welt, die seit Jahrhunderten, Jahrtausenden in den Geschichten der Menschen überlebt hat? Können wir im Märchen von einer uralten, vorgeschichtlichen Zeit erfahren, wie Jacob Grimm es ihnen zuschrieb? Vor allem aber: Gibt es heute – 200 Jahre nach Erscheinen der bekanntesten Märchensammlung – immer noch etwas für uns Bedeutendes in diesen Geschichten zu entdecken? Folgen sie Theater Anu in den Wald…

Mit Blick auf mehrere Jubiläen wurde unter dem Titel „GRIMM.2013“ ein umfangreiches kulturelles Veranstaltungsprogramm zu Leben und Werk von Jacob und Wilhelm Grimm, sowie ihrem „Malerbruder“ Ludwig Emil entwickelt. Der Schwerpunkt des Programms liegt im Jahr 2013, offizieller Start des Grimm- Jubiläums ist schon im Jahr 2012.

GRIMM.2013 ist ein Kooperationsprojekt des Landes Hessen, des Kultursommers Nordhessen e.V. , der Stadt Kassel, der nordhessischen Landkreise, der GrimmHeimat NordHessen und der Deutschen Märchenstraße e.V.

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