Glossar

 

Applaus

„Lasst mich nicht … durch euren Bann auf dieser öden Insel hausen, sondern befreit mich von den Fesseln mit Hilfe eurer freundlichen Hände.“ (Schlussmonolog  des Prospero aus Der Sturm von William Shakespeare)

Applaus ist eine feste Verabredung im klassischen Theater. Der Schauspieler betritt nach Ende des Stücks erstmals „ohne“ seine Rolle die Bühne – ein Paradoxon des Illusionstheaters, das sich doch den ganzen Abend bemüht eine Illusion zu erschaffen.

In einem Theater der Begegnung gibt es das Applaus-Ritual nicht. Eine Begegnung von zwei Menschen endet nicht mit dem Applaus, sondern mit einer Verabschiedung.

Bachelard, Gaston

„Bachelards Interesse gilt den einfachen poetischen Bildern, die den Leser eines Gedichts oder eines Romans beunruhigen, ihn nicht mehr loslassen, ‚in ihm Wurzeln schlagen‘. Woher rührt diese Macht des Bildes? Die Psychoanalyse hat – z. B. mittels der Traumdeutung – versucht, das Bild intellektuell aufzulösen und auf einen verborgenen Wunsch zurückzuführen. ‚Der Analytiker erklärt die Blume aus dem Dünger‘, hält Bachelard dem entgegen. Seiner Auffassung nach ist das poetische Bild etwas absolut Ursprüngliches, die Einbildungskraft daher eines der tiefsten menschlichen Vermögen.

Gaston Bachelard (geb.1884, gest.1962) war ursprünglich Naturwissenschaftler, ehe er sich nach langer Schultätigkeit philosophischen Interessen zuwandte. Erst 1930 begann seine Universitätskarriere, 1949 erhielt er den Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte an der Sorbonne, den er bis 1954 innehatte.“ | Quelle: Gaston Bachelard: Poetik des Raums. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1997.

Theater Anu stößt in den Produktionsphasen seiner Inszenierungen immer wieder auf die Schriften, Bücher und Theorien von Gaston Bachelard, der selbst in seinem Schreiben zwischen Wissenschaft und Kunst oszillierte und damit dem Poetischen eine wissenschaftliche Grundlage schaffte und die Wissenschaft poetisiert Kunst werden ließ. Titel wie „Der Lampenträumer“ oder Begriffe wie „Lichtarbeit“ oder die „rêverie“, die „Träumerei bei kleinem Licht“ sind auf ihn zurückzuführen. Auch die Verbindung von poetischen Bildern, Schönheit und Glück – als Moment der Lebendigkeit und Freude, nicht des Glücksspiels – findet sich bei Bachelard, der das poetische Bild als „direkte Bezugnahme einer Seele zu einer anderen, als eine Begegnung von zwei Wesen, die Glück empfinden“, charakterisiert. Jeder Künstler, der sich mit poetischen Formen beschäftigt, wird in Gaston Bachelard einen Verbündeten treffen. Besonders inspiriert hat uns sein Buch „Die Flamme einer Kerze“.

Besucher

In der Theaterarbeit von Theater Anu wird nicht von Zuschauern, sondern von Besuchern gesprochen (siehe auch unter Zuschauer). Das Be-Suchen deutet auf ein aktives und zielgerichtetes Handeln hin. Der Mensch als Suchender, aber auch als Gast, dessen Kommen bereitet sein will. In den Theaterinstallationen sind Besucher wie Reisende, die ein fremdes Land erkunden. Sie können mit den dort lebenden Bewohnern in Kontakt treten, müssen es aber nicht. Der Grad ihrer Bereitschaft sich zu beteiligen entscheidet aber darüber, was und wie viel sie erleben werden. Für einen Besucher zu Inszenieren bedeutet Theater als ein Angebot  zu formulieren. Der Theatermacher erschafft einen Möglichkeitsraum, mit Geschichten und Begegnungen. Der Besucher trifft aber selbst die Entscheidung ob er sich auf die Angebote einlassen möchte oder nicht. Dies ist schon deshalb wichtig, da der Theatermacher nicht wissen kann, was der Be-Sucher in der bereiteten Isnzenierung für sich finden kann.

Zuschauer

Der Begriff des Zuschauers beinhaltet per se eine große Distanz zum Ereignis. Ein Zuschauer ist räumlich vom eigentlichen Geschehen abgetrennt. Das Zuschauer-Sein, ist die entfernteste Form, ein Ereignis noch wahrzunehmen. „Weniger“ als ein Zuschauer zu sein, würde bedeuten das Geschehen nicht mitzubekommen. Aber auch die Haltung des Zu-Schauenden ist eine distanzierte. Er greift nicht ein, kommt nicht zur Hilfe, er bleibt immer am Rand, an der Grenze zwischen Hineingehen und Sich-Abwenden, ohne jedoch das eine oder andere auch nur zu erwägen – wenn dann letzteres.

Im besten Falle könnten wir beim Zuschauer noch eine Zeugenschaft erwarten, jemand der Zeuge eines Ereignisses geworden ist, der darüber sprechen kann, der die Ereignisse aus seiner Außensicht zu deuten versucht. Berührungen finden nur selten statt. Nun ließe sich entgegnen, der Zuschauer identifiziere sich mit den Protagonisten, er würde durch sein Mitfühlen mit den Figuren Beteiligter des Geschehens. Ist das so? Ist das die gängige Erfahrung eines Theaterbesuchers oder doch eher jener seltene Glücksfall, der die Ausnahme von der Regel beschreibt?

Der Theaterbau ist für den Zuschauer gemacht. Sein Platz ist ein fester. Das Geschehen findet in sicherer Entfernung  statt. Das Ereignis wird ihn physisch nicht erreichen. Hinzu kommt, dass das Licht während des Ereignisses am Ort des Zuschauers ausgeschaltet ist, er also im Schutz der Dunkelheit dem Ereignis beiwohnen kann,  er wie durch Alberichs Tarnkappe unsichtbar geworden scheint.  Der Zuschauer ist ein Unsichtbarer. Warum  ist  diese Form des Theaters  über lange Zeit so dominant geblieben? Warum stützte sich das Theater gerade auf eine solche Vereinbarung? Die Tradition des klassischen Theaters ist eine Tradition des unsichtbaren Zuschauers.

Sobald ich mich mit dem Unsichtbaren Zuschauer beschäftige, ihm von seiner Fesselung befreie, beginnt Theater zu einem Abenteuer zu werden – für Besucher genauso wie für Regisseur und Schauspieler.