Das Gesicht einer Stadt erschließt sich nicht aus ihrem äußersten Bild, nicht aus ihrem bloßen Dastehen und Dasein und aus dem Leben und Treiben, das sie umschließt, sondern aus ihrem Sein im Strom der Zeit. Menschenhände haben sie gebaut und bauen und basteln unablässig an ihr herum.
Die Stadt ist nichts in sich selbst Ruhendes, sondern die ewige Unruhe, der Wechsel von Werden und Verfall.Gustav Engel: Bielefeld.
Gesicht und Wesen einer Stadt
Der Kesselbrink hat viele Metamorphosen hinter sich: von der einstigen Viehweide, dem Köttelbrink, über die Entdeckung einer Heilquelle zum kaiserlichen Exerzierplatz und Platz der Schausteller bis hin zur späteren Judendeportations-Sammelstelle. Viele Persönlichkeiten hat dieser Platz kommen und gehen sehen. Viele Ereignisse hat er erlebt.
Theater Anu aus Berlin inszeniert in einer außergewöhnlichen Installation aus Hunderten von Baldachinen ausgewählte Themen und Persönlichkeiten des Kesselbrinks: Die Besucher begegnen dem Nagelschmied und Schaubudenbesitzer Julius H. Pottharst, der im 19. Jahrhundert mit seinem „Mechanischen Theater“ oft auf dem Kesselbrink zu Gast war oder auch dem einstigen Präsidenten von Arminia Bielefeld, Julius Hesse, der als Jude in der Nazi-Diktatur deportiert wurde. Der Städteplaner Julius Albert Talheimer ist nach der Recherche zum größten Tiefgaragenprojekt Deutschlands in den 60er Jahren entstanden. Andere Themen sind freier bearbeitet wie etwa der Kesselbrink als einstige Viehweide außerhalb der Stadt oder die bald versiegte Heilquelle auf dem Kesselbrink.
Die Inszenierung erhebt keinen dokumentarischen Anspruch, Theater Anu transformiert recherchierte Geschichten und Persönlichkeiten in ein poetisches Theater der Begegnungen: Wer die Traumwelt aus schwebenden Baldachinen betritt erlebt eine sinnliche Theatererfahrung aus Atmosphäre, Installation und kuriose Figuren.
Jede Stadt hat ein Gesicht.
Dieses verwandelt sich im Laufe von Jahrhunderten zu Jahrhunderten.
Doch bleibt immer eine Erinnerung an ihre Entwicklung und an ihre früheren Bewohner,
die nicht ohne Einfluss auf das Heute ist.
Sigrid Lichtenberger: Begegnungen in Bielefeld