Philosophie

Die alte Königin Ellib besuchte ein letztes Mal das Moorts:

Eine Frage habe ich noch. Sag, was ist die Seele?“
„Wenn ich es Dir sage, wirst Du es mir nicht glauben“, erwiderte das Moorts.
Ellib beharrte auf einer Antwort.
„Die Seele ist das Kind, das Du einst gewesen und das Dich nie verlassen hat“, flüsterte das Moorts.

Aus den Moranischen Chroniken

Über das Poetische

Poetisch nennt man jede Sache, deren Art oder Charakter sich zum Gedicht schickt“,  schreibt Johann Georg Sulzer in seinem 1771 erschienenen Buch über die Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Das Gedicht enthebt sich von der alltäglichen Sprache. Es versucht sich in Vollendung und Schönheit, im Wort wie in der Form.
Theater wie ein Gedicht denken – eine Verdichtung zum Schönen. Nicht Schmerz und Konflikt wie im Drama stehen im Fokus unseres poetischen Theaterverständnisses, sondern Versöhnung, Hoffnung, und das Entfachen von Sehnsucht, verbunden mit einem Lächeln in den Gesichtern der Besucher. Wird das Theater von ihm mit einem „Das war schön!“ kommentiert, bringt er oft damit zum Ausdruck, das Erlebte habe ihm gut getan.  „D joma anuar lolo ta“, das Schöne heilt manches Leiden, sagen die Moraner. Wer möchte ihnen nicht Glauben schenken?
Das poetische Theater ist der Versuch, mit künstlerischen Mitteln der Grobheit in der Welt etwas entgegenzusetzen und einen Ort zu bereiten, an dem viele Menschen die Möglichkeit haben, dem Feinsinnigen und Schönen zu begegnen, und sich durch diese Erfahrung verwandeln zu lassen.

Theater der Begegnung

Verlässt das Theater den Theaterbau, muss der Zuschauer in jedem Inszenierungskonzept neu bedacht werden. Das Theater wird zum Abenteuer für den Theatermacher wie für das Publikum – so auch in unseren begehbaren Theaterwelten. Der Zuschauer wird zum Besucher. Er bleibt nicht außen vor, sondern begibt sich in das Geschehen hinein. Als Reisender kann er den einzelnen Spielstationen sehr nahe sein. Diese Nähe ermöglicht die Begegnung zwischen Spieler und Besucher – eine neue Qualität, die es im klassischen Theater mit seiner „Rampe“ als vierte Wand nicht gibt. In unseren Inszenierungen schaffen wir Angebote der Begegnung – vom Blick, über das Lächeln, von der Berührung bis zum gemeinsamen Spiel. Das Besondere dabei ist die Nicht-Exklusivität. Bei uns gibt es keine geschlossenen Räume, mehrere tausend Menschen können unsere Theaterinstallationen jeden Spielabend erleben. Sie begegnen unseren Figuren, entscheiden selbst über Nähe und Distanz, geraten ins Spiel oder schauen anderen dabei zu. Wer sich darauf einlässt, erfährt eine andere Qualität von Theater.

Das Erzählen von Geschichten

Theater Anu versteht sich in der Tradition des Geschichtenerzählens. Wir glauben an die Kraft von Geschichten, sind uns aber auch darüber bewusst, dass es andere Geschichten braucht. Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell belegt in seinen Arbeiten, dass in allen Teilen der Welt den Mythen das gleiche Muster zugrunde liegt: die Heldenreise. Diese Geschichten erfüll(t)en einen wichtigen Zweck: Den Menschen in die Gesellschaft mit ihren Werten und Regeln einzuführen und den Jüngling im Speziellen auf das Leben als Krieger vorzubereiten. Auch wenn Hollywood stets seine Heldengeschichten  produziert,  in der Vision einer friedvollen Welt offenbart sich der Bedarf an neuen Mustern, die sich von der Botschaft „Das Leben ist ein Kampf!“  unterscheiden.  Es gilt eine poetische Dramaturgie  zu begründen.